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sensibel im katastrophischen Lebensgefühl

Regisseurin Jette Steckel im Gespräch mit Dramaturgin Anika Steinhoff über «FRAU YAMAMOTO IST NOCH DA» von Dea Loher

[Auszug aus einem Interview, das im Programmheft zum Stück erscheint]

Jette, WAS WAR DEIN ERSTER EINDRUCK, ALS DU DAS NEUE STÜCK VON DEA LOHER GELESEN HAST, DAS SIE NACH EINER MEHRJÄHRIGEN PAUSE GESCHRIEBEN HAT?


Der Wunsch, das Stück zu inszenieren, war schon vor dem Lesen gewissermassen da, weil ich die Autorin und ihr Schreiben wirklich als sehr singulär empfinde und schätze. Das Warten darauf, dass es einen neuen Text von ihr gibt, war, nicht nur von mir, dementsprechend gross. Als ich es las, war ich froh und erstaunt über den Versuch einer klaren, radikalen und doch auch achtsamen Beschrei­bung von einem gegenwärtigen Lebensgefühl, das, wäh­rend man drinsteckt, ja sehr schwer zu greifen ist – und dabei gegen nichts und niemanden agitierend zu werden. Erstmal begegnen wir Situationen und Szenen, die uns bekannt erscheinen können, es liest sich leicht, und auch humorvoll. Es handelt sich innerhalb einer Rahmenhand­lung um ein Panoptikum von Figuren in einer nicht näher definierten, westlichen Stadtgesellschaft. Aus diesem Pan­optikum schälen sich Themen heraus, die die einzelnen Erzählstränge und Geschichten miteinander motivisch ver­binden. Ein grosses Thema ist die innere und äusserliche Vereinsamung der Figuren, so unterschiedlich sie auch sind und leben, die Sehnsucht nach Verbindung und Kontakt, das Thema KI, das Verhältnis von Täter*in-­Opfer-Sein in Bezug auf die Zukunft unseres Planeten und unseres Lebens auf dem Planeten, und das Thema Sterben. Man spürt deut­lich, dass das ein post­pandemischer Text ist. Nach einem sehr unterhaltsamen ersten Leseerlebnis hat sich in den Stunden und Tagen danach auf einer zweiten Ebene eine Art inhaltlicher Tieflader abgezeichnet, der für mich im Verständnis des gesamten Textes sehr nachhaltig war, wo die grossen existenziellen Gedanken über unser Mensch­sein vordergründig bleiben. Zum Bespiel: was wird aus uns, wenn wir tot sind.

Du hast schon mehrmals Stücke von Dea Loher inszeniert, u.a. «FREMDES HAUS» am Schauspiel Köln und das Libretto «WEINE NICHT, SINGE» an der Staatsoper Hamburg. Unterscheidet sich dieses Stück von früheren Stücken von Dea Loher?


Die Leichtigkeit und Vorsicht, mit der sie hier schreibt, unterscheidet sich meines Erachtens schon von früheren Stücken, die manchmal auch düster und fundamental wur­den, Tragödien. Jetzt, wo noch zunehmend reale Tragödien näher herangerückt sind an unsere Lebenswelt, findet sie einen Ton, der sensibel ist im Umgang mit dem, was in uns kämpft – es scheint nicht nötig, den Finger auf die Wunden zu legen und zu bohren – alles ist ja an der Oberfläche oder ganz nah darunter. Wir verlieren die Möglichkeit mitein­ander zu kommunizieren über die Wirklichkeiten, die uns von morgens bis abends begleiten. Ein unsicheres und manchmal katastrophisches Lebensgefühl entsteht – und wir besitzen nicht mehr die Dickhäutigkeit und das Verdrängungspotential wie noch vor ein paar Jahren. Durch allgegenwärtige Zuspitzung und Polemisierung tritt auf der anderen Seite Sprachlosigkeit und Verstummung ein. Aus Angst tritt die Verantwortungsübernahme in den Hintergrund.

DEA HAT DAS STÜCK ALS AUFTRAGSWERK FÜR DAS ENGEKI ENSEMBLE IN TOKIO GESCHRIEBEN, DAS SEIT VIELEN JAHREN DEAS STÜCKE AUFFÜHRT. WIR WERDEN AM SELBEN TAG PREMIERE HABEN UND HABEN DAFÜR DEN BEGRIFF RING-URAUFFÜHRUNG GEFUNDEN. INWIEFERN – ODER ÜBERHAUPT – SPIELT JAPAN EINE ROLLE IN DER ARBEIT, VERWEIST NUR DER TITEL AUF DIESE VERBINDUNG?


Ich würde sagen, dass tatsächlich erstmal nur der Name der Titelfigur auf Japan verweist und dass man die Themen der Vereinzelung und Einsamkeit stark mit der japanischen Gesellschaft verbinden kann. Dennoch habe ich da kein Übertragungsproblem in unsere Gesellschaft und gerade Einsamkeit im Alter ist ein riesiges Problem. Es ist sehr ungewöhnlich, dass eine alte Frau als Hoffnungsträgerin in einem Stück vorkommt. Im Stück wird zudem die Frage gestellt, ob Künstliche Intelligenz u.a. in Form von Pflege-Robotern dieses Problem helfen kann zu lösen oder genau gegenteilig wirkt und das Leben mit KI und Maschinen unsere Sozialzusammenhänge immer weiter auflöst.

Deine Kollaboration mit der Band THE NOTWIST besteht schon seit mehreren Jahren, nun komponieren sie die Musik für diese Inszenierung. Wie arbeitet ihr zusammen, was macht die Band für dich besonders?


Warum eine bestimmte Musik für einen Menschen eine Bedeutung kriegt, hängt ja oft mit eigenen Lebensphasen zusammen. THE NOTWIST sind für mich zu einer Art musikalischer Lebensbegleitung geworden insofern, als dass die Band einen Klangkosmos erfindet, ein für mich treffendes musikalisches Spektrum dafür, wie ich die Welt oder mein Leben erlebe. Mit Texten, die in ihrer Sparsam­keit sehr zielsicher an Punkte rangehen, die mich beschäf­tigen. Die Zusammenarbeit ist darüber entstanden, dass ich mit der Band in Kontakt getreten bin, schon vor zig Jahren. Jetzt ist es so, dass wir über den Text und über vorhandenes musikalisches Material der Band kommunizieren als Referenzpunkte, also im Sinne von: «Ich könnte mir etwas in diese oder jene Richtung vorstellen», – und so weben wir langsam einen Teppich, der für diese Szenen treffend erscheint. Was wir uns wünschen, ist eine Arbeit live zusammen zu machen, es ist mir aber bisher noch nicht gelungen, fünf Musiker*innen in den Repertoirebetrieb eines Theaters einzuflechten. Zu Deas Texten finde ich, passt die Musik der Band insofern gut, weil die universelle, existenzielle Grösse, die sich in der Klangwelt jenseits der lakonischen, sparsamen Texte ausbreitet, ein bisschen was mit dem zu tun hat, was ich auch vorhin über den Text gesagt habe. Also, dass auf einer halbbewussten oder emotionalen Ebene eigentlich riesige Themen mit wenig Worten verhandelt oder ausgedrückt werden. THE NOTWIST ist für mich oft ein Schlüssel in etwas hinein. Ich hab’s schwer, über Musik zu sprechen, ich empfinde es so, dass die Kraft der Musik darin liegt, dass sie ausdrückt, worüber wir nicht sprechen können.

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[Auszug aus dem Interview ALLE TOTEN SIND NOCH DA, einem Originalbeitrag für das Programmheft zur Uraufführung von FRAU YAMAMOTO IST NOCH DA.

Das Programmheft ist für CHF 5.- an der Theaterkasse, am Büchertisch oder auch im Webshop erhältlich.

Foto Jette Steckel © Pascal Bünning]