Pfauen/Musikzimmer
Premiere am 8. März 2012
Unterstützt von der Ars Rhenia Stiftung
Wenn im Pfauen der „Faust“ beginnt und die Gelehrtentragödie ihren Lauf nimmt, dann dauert es, bis die Frauenrollen an die Reihe kommen. Solange spielen Sarah Hostettler, Miriam Maertens und Franziska Walser im Keller des Pfauen „FaustIn and out“ von Elfriede Jelinek, ein sogenanntes Sekundärdrama – die österreichische Nobelpreisträgerin versteht darunter ein Begleitstück, das nicht ohne das Original gezeigt werden dürfe.
Etwa 30 ZuschauerInnen bietet sich die exklusive Möglichkeit, diese partiell auf die Pfauen-Bühne übertragene „Sekundärinszenierung“ live mitzuerleben, mit separaten Eintrittskarten für nur 29.95 CHF (Legi 19.95 CHF). Bei jeder „Faust 1–3“-Vorstellung, zur gleichen Beginnzeit, begibt sich das „FaustIn and out“-Publikum hinab ins erste Untergeschoss („Musikzimmer“). Angeregt durch reale Ereignisse (Fall Fritzl) erfährt die Gretchentragödie bei Jelinek eine moderne Übermalung, in der es die Väter selbst sind, die für ihre Töchter den Kerker bereithalten und mit Dämmschutz versehen. Die Eingekerkerten bilden einen Kreis, nach dem Motto: „Wir sind in Frauenform im Frauenforum mit dabei. Wir sind immer dabei, wo es um die Frau geht. Wir sind in bester Form, wenn auch in weiblicher.“ Bei der Kartenvergabe werden Frauen bevorzugt behandelt, Besammlung ist am Bühneneingang Pfauen, Zeltweg 5.
„„Faust 1–3“ nennt sich das Projekt, das Resultat ist bemerkenswert, allein schon wegen der Schauspieler, allein schon wegen der kühnen Inszenierung.“ Aargauer Zeitung
„Drei Frauen sitzen im Keller, in viel zu grossen Stöckelschuhen und Staubmänteln, mit Spitzen an Kleidern und Handschuhen. Sie sind Gefangene, Missbrauchsopfer, die an die Fälle Fritzl und Priklopil in Amstetten bzw. Strasshof erinnern. Ein Vater hat seine Tochter in den Geheimkeller gesperrt, zeugt mit ihr sieben Kinder. Eine Zehnjährige wird von ihrem Peiniger jahrelang in einem Verlies gehalten. Aber es geht auch um gewöhnliche Opfer, um Frauen, die ihren Job verloren haben, die von Männern erniedrigt und beleidigt und wie Tiere gehalten werden, um die Last der Familie. Der peinigende Vater und Mann ist für Mädchen und Frauen wie ein Gott, verfügt allmächtig über sie. Und diese Fantasien passen tatsächlich zum Betreiber Faust, der immer strebend Margarete zugrunde richtet – da braucht es gar keinen Mephisto. Diese Grundsituation variiert Jelinek mit ungeheurer sprachlicher Macht, verbindet das Dämonische der Situationen mit der Gewalt des Markt-Jargons, der Politik, der Machos. Die Frauen sprechen die Rollen der Opfer und der Täter. Ein wenig Celan, zu dem sich der Kalauer „Jedem die Seinen“ fügt, der auf das Tor von Auschwitz anspielt, eine Prise Rilke für schreckliche Engel. Kunstvoll und aberwitzig werden die Bereiche verwoben. Technisches, Philosophisches und tief Vulgäres tragen zum typischen Jelinek-Sound bei. Auch die Gossensprache hat eine wichtige Funktion – sie ist nicht aufreizend, sondern tief verstörend, wenn sie in einem Kontext steht, in dem ein toter Säugling im Ofen verbrannt wird.“ Die Presse
„Die Aufführung im schallgedämmten Musikkeller auf Tuchfühlung mit den starken Schauspielerinnen, die uns direkt und böse in die Augen starren, als wären wir an allem schuld (sind wirs? sind wirs nicht?) ist schlicht erschlagend gut. Bereichernd. Fadengerade wie Pařízek akzentuiert und rhythmisiert hat; wie er auf den Fritzl-Horror und die „Faust“-Verstrickungen des sich wild schlängelnden Textes fokussiert hat. Faszinierend, wie die drei Frauen die Rollen wechseln, mal Täter geben, mal Opfer, und dabei gleichzeitig stets das Sprachwunder geschehen lassen, das in Jelineks besten Texten steckt.“ Tages-Anzeiger
„Subversiv, wie Elfriede Jelinek ist, baggert sie Goethe an, frisst sich in ihn hinein und zersetzt ihn langsam, aber sicher. Mit ihren üblichen flapsigen Anweisungen hilft sie der Regie nicht weit. Zwar stellt sie die Bedingung, den sekundären ausschliesslich zusammen mit dem primären Text aufzuführen. Wie, das delegiert sie indessen nonchalant an die regieführende Instanz. Pařízek gibt den Ball weiter und zwingt uns, selbst zu entscheiden, was wir erleben wollen. Am besten ist, man entscheidet sich für beides und geht zweimal hin. Nur dann verzahnt sich die klagende, plärrende Suada der geschändeten Fritzl-Opfer im Keller mit dem wohlgereimten Sound des deutschen Dichterfürsten. Und nur dann kommt man auf die volle schauspielerische Rechnung. Sie macht diesen bitterböse komischen Theaterabend zum exquisiten Genuss. Wer unten sitzt, sieht via Fernsehmonitoren zwei fabelhafte Faust-Darsteller zu Strichmännchen verkleinert; wer oben sitzt, erhält per Videoprojektion kurze Einblendungen der jelinekschen Inzest-Verarbeitung. Doch die dumpfe Beklemmung im kahlen Verliess, wo die drei Frauen – beige Trenchcoats, weisse Kleider und übergrosse Daisy-Duck-Schuhe (Kostüme Kamila Polívková) – unablässig kalauernd lauern, bis eine von ihnen in die nächste sprachliche Falle geht; wo sie im fliessenden Duktus der sich ineinanderschlaufenden Wortketten Unsinn zu Sinn verdrehen; wo Franziska Walser mit schwäbischem Akzent plötzlich zu heideggern beginnt und sich Miriam Maertens mit kühner Selbstverständlichkeit als offensichtliche Jelinek-Begabung outet: All das ist exklusiv jenen Zuschauern vorbehalten, die als Zaungäste auf Stühlen ringsherum assistieren – bis, eben, Edgar Selges Faust mit der Axt das Gefängnis aufbricht.“ NZZ
„Jelinek at her best.“ Deutschlandradio Kultur
„Man möchte „FaustIn und out“, womöglich Jelineks bisher stärksten, unverschwiemelsten und berührendsten Text, ganz für sich sehen. Auf einer grossen Bühne. Als Wut-Etüde auf ein Frauenschicksal, das eine ganze, eigene Welt umfasst – und die Vernichtung dieser Welt, die mit verbrannten Babys geheizt wird.“ Frankfurter Allgemeine Zeitung
„Schon der kabarettistisch mäandernde Eingangsmonolog über therapiesüchtige Frauen beim Arzt zeigt die weibliche Kehrseite der mephistophelischen Ratschläge. Tief und untergründig ist jedoch die witzelnde böse Komik Jelineks vor allem deshalb, weil die drastische Ausmalung des Falls Josef F. nirgendwo ins Hysterisch-Monströse umschlägt: Gretchens Verliess ist alltägliche Struktur.“ Der Standard
„Das Faszinierende dieses Sekundärdramas, das alles Sekundäre hinter sich lässt, liegt im fortwährenden In- und Miteinander von Opfer- und Tätersicht. Jelinek eignet sich Jargon und Mentalität der Unterdrücker an, um oft gar nicht wahrgenommene Repressionsmechanismen zu entlarven. Bei ihr wird der assoziierende Kalauer nie zum Selbstzweck, er bleibt Erkenntnisinstrument. „FaustIn and out“ ist aber auch ein Sprachkunstwerk der besonderen Art und braucht sich vor Goethes „Faust“ nicht zu verstecken.“ Die Welt
„Nach 75 Minuten im Verlies kommt Faust persönlich runter. Er hat sich mit der Axt den Weg gebahnt und zieht das Weibliche samt Zusehern hinan auf die grosse Bühne. Wer unten die Klaustrophobie und die sekundären Anspielungen auf den grössten deutschen Klassiker aller Zeiten durchlebte, hat nun oben im Finale Deutungsvorteile. Eigentlich muss man die Aufführung zweimal sehen. Denn nun wird zusammengeführt, was nicht unbedingt zusammengehört, sich aber sinnvoll ergänzt zu höherer Erkenntnis. Drei Grete-Faust-GeistInnen treffen zwei Faust-Mephistos. Wiederholt sich das Spiel von unten? Es geht nun vor allem um Werbung, um das schöne Fräulein, das umgeben ist von Versatzstücken alter und neuer Fauste. Bald ist sie hin, ihre Ruh, es mischen sich die Verse Goethes mit dem Stakkato Jelineks zu einem sarkastischen Schluss. Immer wenn die Männer nicht weiterwüssten, schauten sie nach oben, meint die Faustin und rät dazu, den Mann von all dem abzuziehen. Subtrahieren werde man doch wohl können. Da ist man sich nicht so sicher, nach diesem multiplen Spiel.“ Die Presse
„Drei wunderbare Schauspielerinnen – Franziska Walser, Miriam Maertens, Sarah Hostettler – teilen sich als „FaustIn“, „GeistIn“ und „GretIn“ die bedrohlich schillernde jelineksche Suada. Wir erleben, an den Wänden auf Stühlen sitzend, dank der Inszenierung von Dušan David Pařízek äusserst reduziertes Sprechtheater, das sich in unseren Köpfen zu Schreckensbildern formt.“ Die Welt
„Ein Huis-clos, wie es abgeschotteter nicht sein könnte. Klamm kann einem hier schon werden oder, mit Faust, der Menschheit ganzer Jammer einen angreifen: wenn sich Opfer- und Täter-Perspektive in fataler Dialektik ineinander verkrallen, wenn sich die drei Darstellerinnen eindringlich zwischen der Konkretion von Innenschau oder gar Rollenspiel und der Abstraktion des – assoziativ, kalauernd, zynisch – überformten Textes bewegen.“ Nachtkritik.de
„So spannend und grossartig kann also Post-Dramatik sein!“ Die Presse
„Ein starkes Stück, glänzend gespielt.“ Neue Luzerner Zeitung