Schiffbau/Box
Premiere am 16. Februar 2013
Unterstützt von der Vontobel-Stiftung
Die Sprachlosigkeit des Findlings, seine Identitätsfindung, sein schrittweises Ankommen in der Zivilisation – die historische Gestalt des Kaspar Hauser, der 1828 17-jährig in Nürnberg auftauchte und fünf Jahre später ermordet wurde, hat nicht nur Wissenschaftler und Kriminalisten beschäftigt, sondern auch Musiker, bildende Künstler und Dichter – darunter Georg Trakl, Paul Verlaine, Peter Handke. Der lettische Regisseur Alvis Hermanis (er inszenierte am Schauspielhaus Zürich zuletzt „Brennende Finsternis“, „Väter“ und „Der Idiot. Anfang des Romans“) widmete sich dem Phänomen Kaspar Hauser in einem Theaterabend.
„Es ist zum Heulen. Es ist zum Lachen. Es ist schrecklich wie in einem bösen Märchen und wahr wie im wirklichen Leben. Dabei geht es nicht nur um die äusserliche Abrichtung des Wilden. Denn Jirka Zetts Kaspar, dieser ungelenke menschliche Fremdkörper mitten unter den drollig stilisierten Puppen, durchläuft auch innerlich eine Entwicklung, die schon eher einer Zivilisierung gleicht: Er fängt an, bewusst zu empfinden. Wünsche, Träume, Ängste. Nicht nur Kopfweh, sondern auch Seelenschmerz, ja Liebeskummer. Lohnt es sich, ein „Mensch“ zu werden? Das fragt sich dieses Kind in Mannesgestalt, während die als Alte verpuppten Kinder, gefangen im luftdichten Rollenkorsett, ihre Vorstellungen von Benimm, Moral, Kultur ungezügelt dem armen Opfer aufpfropfen und es alsbald auch bei einer Lüge ertappen. In der Entrüstung über den Sündenfall spiegelt sich eine Bigotterie, die nun freilich, aller verstaubten Historie zum Trotz, unserer heutigen Gegenwart kein bisschen fremd ist. Doch Alvis Hermanis, einer der grössten Regisseure des zeitgenössischen Theaters, verzichtet auf jegliche Zaunpfähle. Vielmehr vereint er die Kinderschar zum Streichorchester, das einen Wiener Walzer schrammt. Grandioses Schlussbild: die bessere Gesellschaft als erbärmlich krächzende Kakofonie.“ NZZ
„So betörend schön kann Theater sein! Fürs Auge, fürs Ohr, für die Emotionen und für den Geist.“ sda
„Das Nürnberg der Biedermeierzeit, das der vielfach ausgezeichnete Regisseur auf die Schiffbau-Bühne ziseliert, hat die Kälte und Zerbrechlichkeit von Debussys gefrorener Landschaft. Das Nummerntheater, das dort von der „1. Geschichte: Wie Kaspar Hauser den Menschen begegnet“ bis zur „34. Geschichte: Kaspar Hauser stirbt“ stattfindet, ist denn auch kein munterer Szenenreigen, sondern eine Sammlung von Momentaufnahmen der mörderischen Maschinerie namens Entzauberung; oder eben: Erwachsenwerden.“ Tages-Anzeiger
„Ein verstörender, berückend schöner Albtraum aus den Puppenstuben des Biedermeier.“ Frankfurter Allgemeine Zeitung
„Die Geschichte von Kaspar Hauser am Zürcher Schauspielhaus ist unerhört – verstörend grausam, betörend schön. Ein nachhaltiger Theaterabend.“ seniorweb.ch
„Keine Abhandlung, keine Dokumentation, keine Nacherzählung, sondern eine wundersame Szenenfolge, komisch, unheimlich, herzzerreissend, kurz: von zauberhafter Wirkung.“ NZZ
„Es sind auch unsere Fragen, die Kaspar stellt; und die Antworten kann es nicht geben. Aber nur bei Alvis Hermanis gibt es davon so wunderschöne Bilder zu so wunderschöner Musik.“ Tages-Anzeiger
„Ein Verdammungsurteil über die Zeit, in die Kaspar Hauser hineingeschneit ist, spricht die Inszenierung keineswegs aus. Sie relativiert aber das zivilisatorische Moment, und zwar nicht nur dasjenige der Biedermeierzeit, indem sie es auf abgründige Weise mit den entlarvenden, in ihrer Bildhaftigkeit und Direktheit poetisch wirkenden Fragen Kaspar Hausers konfrontiert. Warum isst die Katze nicht mit den Händen? Warum ist die Wirklichkeit nicht die Wahrheit? Warum tut die Musik weh?“ Nachtkritik.de
„Da stolpert der ungeschlachte Riese mit dem tabula-rasa-Hirn also hinein in die ängstliche Restaurationszeit, in der jeder sein Klein-Klein pflegt, sein Cocooning wie die globalisierungsgeschüttelten Menschlein heute: Jirka Zetts Kaspar Hauser ist im besten Sinn monumental. Und es ist der Coup des lettischen Regisseurs, dass er diese Gesellschaft verkrampfter Provinzprominenz in den Körper von irre theaterbegabten acht- bis elfjährigen Kindern packt, die vom schwarz gekleideten Schauspielhaus-Ensemble wie Puppen geführt werden (die Stimmen gehören etwa Patrick Güldenberg und Isabelle Menke).“ Tages-Anzeiger
„Überhaupt sind die Szenen in der guten Stube der Daumers eigentliche Kabinettstücke, bei denen der Kontrast zwischen dem ungebärdigen Riesen und den von den Kindern virtuos gespielten Nürnberger Honoratioren auf köstliche Weise zum Tragen kommt. Obwohl es viel zu lachen gibt, kommt aber auch die Tragik des völlig missverstandenen, mit Tischmanieren, lateinischer Konjugation, philosophischen Exkursen und religiösen Belehrungen traktierten Findlings immer wieder bewegend zum Ausdruck.“ Nachtkritik.de
„Diese neueste Arbeit über die Geschichte von Kaspar Hauser nähert sich der verstörenden Geschichte mit einer Inszenierung, welche in den Bann zieht, Bilder schafft, die fast jenseits des Denkbaren liegen, und das Abgründige der Begegnung des Wilden mit der strengen, braven, bürgerlichen Biedermeiergesellschaft genau zu zeigen vermag. Diese neueste Arbeit über die Geschichte von Kaspar Hauser nähert sich der verstörenden Geschichte mit einer Inszenierung, welche in den Bann zieht, Bilder schafft, die fast jenseits des Denkbaren liegen, und das Abgründige der Begegnung des Wilden mit der strengen, braven, bürgerlichen Biedermeiergesellschaft genau zu zeigen vermag.“ seniorweb.ch
„Die Begegnung von Kultur und Natur, Gulliver und Zwergbürgertum ist kein Krieg, nur ein tragikomisches Missverständnis. Wenn sich Kaspar am Ende wieder in seinen Sandhaufen verbuddelt, das Streichsextett der Kinder mit heiligem Ernst Robert Schumanns „Das arme Waisenkind“ und Johann Strauss' Walzer „Nun lachst du wieder“ spielt und das surreale Treiben schaut, weiss man nicht, ob man lachen, weinen oder einfach nur staunen soll.“ Frankfurter Allgemeine Zeitung
„Die Schauspieler Patrick Güldenberg, Isabelle Menke, Milian Zerzawy, Franziska Machens (die einmal mit dem weissen Pony zusammen als Traumgestalt zur maskenlos auftretenden Figur wird), Ludwig Boettger und Chantal Le Moign zeigen mit ihren als Puppen geführten Kinder-Repräsentanten einen präzis choreographierten Bilderreigen, den sie wechselweise und subtil an den Klavieren begleiten. Gross war der Premierenapplaus am Samstag.“ Neue Luzerner Zeitung
„Das Publikum bedankt sich innig für ein Traumspiel, in dem Zivilisation und Natur nicht zusammenkommen konnten.“ Zürichsee-Zeitung