Schiffbau/Halle
Premiere am 13. September 2013
Unterstützt von Swiss Re
1821 ersticht Johann Christian Woyzeck in Leipzig aus Eifersucht seine Freundin, 1824 wird er öffentlich hingerichtet. Aus den gerichtsmedizinischen Gutachten dieses Kriminalfalls destilliert Georg Büchner im Alter von 23 Jahren sein weltberühmtes Dramenfragment über den Mörder Woyzeck. In beklemmenden, rätselhaften Bildern evoziert er die Abgründe der menschlichen Psyche, um sie zugleich als Deformation gesellschaftlicher und zwischenmenschlicher Beziehungen auszuweisen.
„Stefan Pucher hat Büchners Klassiker grandios inszeniert.“ Tages-Anzeiger
„Wer wissen will, was Stéphane Laimé und Katharina Falter in die grosse Schiffbauhalle gezaubert haben, muss selbst hingehen. Das Bühnenbildner-Duo baute mitten im Zürcher Trendquartier, wo kein Mangel an art locations herrscht, eine riesige Environment-Kunstinstallation auf. Die gesamte Länge der Halle wird vor der seitlichen Zuschauertribüne zur Breitleinwandbühne. Auf ihren gestuften Podesten breitet sich als Wohnlandschaft das schäbige Brockenhaus-Habitat der Schauspieler und Musiker aus, die in Stefan Puchers Regie neunzig Minuten lang Büchners „Woyzeck“-Fragment rocken.“ NZZ
„Das Stück ist ja voll mit kurzen Versen, Volksliedstrophen – in Zürich sind sie neu gedichtet, neu vertont, live auf der Bühne: Wie stets bei Stefan Pucher kommt der Musik eine zentrale Funktion für die Inszenierung zu; in der Pucher'schen Arbeitsteilung übernimmt sie so was wie die Abteilung Emotion. In den puristischen Songs von Christopher Uhe, mit der Sängerin Becky Lee Walters, den zwei Musikern und dem durchweg sehr musikalischen Ensemble ist die Empfindungswelt gleichermassen schnörkellos und eindringlich. Überhaupt das Ensemble: Es fällt auf, wie einhellig in dieser Inszenierung alle zugange sind. So dekonstruierend der Erzählvektor, so disparat das Milieu, so harmonisch der gemeinsame Auftritt. Vom kläffenden Hauptmann (Lukas Holzhausen) zum grinsenden Arzt (Robert Hunger-Bühler), vom aufsässigen Burschen (Ludwig Boettger) zum psychedelischen Tambourmajor (Jan Bluthardt) – und immer auch dabei, nur wenig abgehoben, nonchalant abgeklärt, der Narr (Irm Hermann) mit seinem Desillusionierungsmärchen vom Mond, dem Faulholz, und der Sonne, der verwelkten Blume, und der Erde, dem umgestürzten Haferl. Gefügig huscht Woyzeck von Unort zu Unort, den Rücken aufgespannt wie jenes „offene Rasiermesser“, mit dem ihn der Hauptmann vergleicht. Steckt die Schläge ein, kniet vor uns mit ausgebreiteten Armen wie ein „Ecce Homo“. Und wird am Ende ganz leer und ganz hart.“ Nachtkritik.de
„Stefan Pucher und sein Dramaturg Andreas Karlaganis entwickeln einen Assoziationsstrudel, der Woyzecks Leiden, seinen Weg in die Psychose greifbar macht.“ Süddeutsche Zeitung
„Ein Gesamtkunstwerk, worin Figuren von heute wie Isabelle Menkes Käthe in glitzernden Hotpants oder Henrike Johanna Jörissens Marie im abgerissenen, sexy dekolletierten Spitzen-Cocktailkleid auf Kostüme mit historisierendem Touch treffen: Jirka Zetts Woyzeck hetzt in soldatischer Ganzkörper-Unterwäsche herum; Lukas Holzhausens Hauptmann – zugeknöpfte Uniformjacke – und Robert Hunger-Bühlers Doktor – weisser Arztmantel über weissem Gilet – tragen Berufskleidung; Irm Hermann beschwört im Narrenkostüm Budenzauber herauf (alles kreiert von Marysol del Castillo).“ NZZ
„Einfach überwältigend und voller schwarzer Romantik: Das ist die popmoderne Version von Georg Büchners „Woyzeck“ von Stefan Pucher und Band in der Zürcher Schiffbauhalle.“ Der Bund
„Es ist, als ob man hier Büchner einerseits bloss zitierte und ihn anderseits doch mit Leib und Seele spielte. Jirka Zett jagt Woyzeck immer tiefer in die Verzweiflung. Dem philosophierenden Hauptmann Holzhausen leiht er beim Rasieren nur ein halbes Ohr; seine kranke Seele interessiert den blasiert dozierenden Doktor Hunger-Bühler keinen Deut. „Immerzu, immerzu“ trällert die Band, treibt den Puls des Stücks an und den Titelhelden atemlos dem Mord an Marie entgegen. Stefan Pucher, Romantiker, macht die schicke Bühnenwüste zum emotionalen Minenfeld. Den militärischen Rahmen verwandelt er in eine Metapher für die kaputte Menschheit. Woyzeck ist ihr Opfer. Sein kleiner Sohn aber, ein kindliches Ebenbild Jirka Zetts, erinnert an die einstige Unschuld des Mörders – und an sein verwirktes Glück.“ NZZ
In diese raue, kantige Umgebung passen Büchners volksnahe, eckige Sprache und auch die Szenen, in denen sich harte Sozialkritik mit märchenhaften Einsprengseln mischt. Das gesamte Ensemble zeigt starke Leistung, herausragend Lukas Holzhausen als gedemütigter und selbst demütigender Hauptmann, Robert Hunger-Bühler als fanatischer Arzt und Irm Hermann als wild-wolkiger Narr. Theater, das mit modernsten Mitteln dem fast 200 Jahre alten Text höchste Reverenz erweist.“ St. Galler Tagblatt
„Mit welcher Resignation Zetts Woyzeck die Folgen der Armut beschreibt und Büchners Diagnose Druck gibt, tut weh. Wie Marie sich vom Glanz eines Paars Ohrringe blenden lässt, hätte Henrike Johanna Jörissen nicht besser geben können. Und auch der Song über die „sanfte Property Tax“ in der Schweiz, hingejuxt zwischen Schweiz- und Zürich-Flagge, ist die verpoppte, in seiner Munterkeit todtraurige Version von Büchners Schlachtrufs „Krieg den Palästen“ (Musik: Christopher Uhe). Aber im Kern ist dieser „Woyzeck“ ein Albtraum zwischen Schlaf und Schlaf, der Mensch ein hilfloser Held in diesem Nachtmahr – und die andern Gestalten sind nur Bilder, Projektionen. Woyzeck trägt denn auch einen einteiligen Strampelanzug – genau wie sein Sohn (Colin Rusterholz); sie haben die gleiche blonde Wuschelfrisur – die man in abgewandelter Form auch beim Rivalen, dem Tambourmajor (ein grossartiger Jan Bluthardt), und beim Narren (Irm Hermann) findet. Dunkel sind dagegen die Gegenfiguren: einerseits die hinreissende Marie in ihrem transparenten Schwarzen, andererseits Freund Andres, die Stimme der Vernunft (Johannes Sima als sympathischer Kontrapunkt).“ Tages-Anzeiger
„Der Abend ist zugleich Rockoper und Horror-Show, Bühnenassemblage und Videofeuerwerk. Viel mag auf die Sinne einstürzen, der Kopf muss oft gedreht werden, nicht alles überzeugt gleichermassen. Aber das Ganze zerfleddert trotzdem nicht. Und vor allem: Das hier ist lebendiges Theater, ein Woyzeck für alle Sinne.“ Südkurier