Schiffbau/Halle
Premiere am 11. Januar 2014
„I: Das kann ich nicht sagen. Ich bin noch nicht so weit mit der Entwicklung meines Geschmacks. J: (ans Publikum) Ja, und das ist es. Das würden wir nie sagen. Dass sich unser Geschmack erst entwickeln müsse. Jemand fragt uns, wie findest du diesen Apfel. Da sagt man nicht: Kannst du mich das morgen nochmal fragen. Ich bin nicht so bewandert in Äpfeln, ich hab da noch keinen Geschmack herausgebildet. Nein, den Geschmack macht ja gerade aus, dass wir anscheinend sofort etwas in uns finden, das eine Geschmacksbeurteilung abgeben kann.“
Der Autor und Regisseur René Pollesch hat mit seinen Texten und Inszenierungen eine eigene Theatersprache geschaffen, für die er mehrfach ausgezeichnet wurde. Bisher waren am Schauspielhaus Zürich seine Arbeiten „Calvinismus Klein“ (2009), „Fahrende Frauen“ (2011) und „Macht es für euch!“ (2012) zu sehen – und aktuell „Herein! Herein! Ich atme euch ein!“ im Schiffbau/Halle.
„„Herein! Herein! Ich atme euch ein!“ heisst der neue Abend, den René Pollesch im Zürcher Schiffbau zeigt. Er bietet grossartiges, süffig-besessenes Diskurstheater.“ Tages-Anzeiger
„Theaterspielen lohnt, auch wenn sich die Gesellschaft nicht verändern will. Vielleicht ist dies René Polleschs Credo – jedenfalls war seit langem kein Pollesch-Abend so entspannt, so vergnügt, auch so theatersinnlich wie jetzt „Herein! Herein!“. So einnehmend, was nicht sagen will, ein szenisches Leichtgewicht. Es wird auch an diesem Abend viel und schnell geredet, wie bei Pollesch stets; er wirft wieder seine Diskursmaschine an, sein assoziatives Brainstorming, das sich rasant und pointiert an den Inhalten abarbeitet. Seine Theatertexte sind ja stets eine Mischung aus aktuellem Anlass und theoretischem Diskurs, und sie stellen immer auch eine Überforderung dar, für die Schauspieler so gut wie fürs Publikum. Es ist die vergnüglichste Überforderung. Ein reiner Spass, seiner blitzenden Argumentation zu folgen, oder es immerhin zu versuchen, in die verschlungensten Gedankengänge und verwinkeltsten Diskursgebäude. René Pollesch will bis zum Ende gehen. Er hat ja auch was von einem unbefangen forschenden Kind, das den Dingen ganz auf den Grund kommen will, etwas Unentwegtes. Es geht ihm um das Ausreizen, um Übertreibungen, die höchstmögliche Steigerung, und mit ihr einher geht Klarheit, im Sinn eines hochprozentigen Destillats. Nach knapp anderthalb Stunden rauscht dem Zuschauer der Kopf und er fühlt sich wunderbar beflügelt. Wie verhielt es sich noch einmal mit den individuellen Wegen der Liebe? Wie konstituiert sich überhaupt Geschmack? „Das kann doch nicht sein, dass ich dir nur gefalle, weil du mit deinem Geschmack anderen gefällst.“ Man muss es sich auf der Zunge zergehen lassen. Wenn sich Schauspieler auf der Bühne (fiktiv?) küssen und es deswegen zu Hause zur (authentischen?) Eifersuchtsszene kommt was ist daran innerlich, was äusserlich? Schon das Wort „Szene“ ist ja wieder sehr verräterisch. Pollesch füllt ein Kaleidoskop der Identitätsbehauptungen und schüttelt es gründlich durcheinander. Vom Taxifahrer, der schlecht fährt, es aber darauf schiebt, dass er „auch nur ein Mensch“ ist, bis zum alten Nazi, der sich vor seiner Bücherwand postiert, nachdem er tausend Menschen umgebracht hat – ja, will ich an seinem „inneren Reichtum“ teilhaben? Was macht mich aus? Was bedeutet Sachlichkeit? Wenn man die Menschen nicht nach dem Äusseren beurteilen soll, wonach dann? Kate Bush spukt mit ihrem Liebesgespenster-Song „Wuthering Heights“ herein und verweist auf emanzipatorische Spiele mit differenten Identitäten, zum Beispiel in „Queer“-Zusammenhängen. Slavoj Zizek, Jacques Lacan, Robert Pfaller, wenn man erst einmal anfängt zu grübeln, haben die Zitate, Referenzen, Verweise kein Ende. Das ist innerer Reichtum! Auch das Schiff im Schiffbau ergreift selber das Wort und betont, dass es hier schliesslich die Miete bezahlt. „Herein! Herein!“ ist ungemein witzig und klug, und getragen von einem hochansteckenden Drive, für den nicht nur die vier virtuosen Darsteller verantwortlich sind (Inga Busch, Nils Kahnwald, Marie Rosa Tietjen, Jirka Zett), sondern auch ein nicht minder virtuoser Chor von 23 jungen Matrosen. Sie machen Wind, sie können auch „Wuthering Heights“ in Signalflaggensprache, sie bringen das Schiff in Bewegung.“ NZZ
„Pollesch wird privat, und das ist schön. Schon in „Gasoline Bill“, vor zwei Monaten an den Münchner Kammerspielen uraufgeführt, kümmerte er sich nicht mehr um die ganz grossen, gesellschaftlichen, politischen Themen. Oder anders: Er suchte das gesellschaftlich Determinierte im Privaten, liess erzählen, dass kein Mensch den anderen kennt, weil alle damit beschäftigt sind, irgendetwas sein zu müssen. Diesen Gedanken spinnt er nun fort, formal, indem er den vier Schauspielern, darunter der wunderbare Jirka Zett und die Pollesch-Wunderwaffe Inga Busch, einen sportlich aufgekratzten, mit fabelhafter Präzision sprechenden Chor in Gymnastikanzügen gegenüberstellt, der als eine Figur agiert, einerseits entindividualisiert, andererseits vielgestaltig.“ Süddeutsche Zeitung
„„Herein! Herein! Ich atme dich ein!“ ist ein Stück Denktheater, das fröhlich mit Sinn und Unsinn spielt. Die Schauspieler stehen da, die Souffleuse daneben und eine Assistentin hält das Mikrofon hin; reines Diskurstheater, das wieder umschlägt in eine Szene aus einem bombastischen Actionfilm: In schwarzen Overalls spielen die Matrosen Krieg und robben unter Trockeneisnebel über die Bühne. In ihren bunten Ganzkörperanzügen ziehen sie die Gesichtsmasken über die Köpfe und stemmen das Schiff hoch: „Ziehen Sie den Hebel. Drücken Sie auf irgendeinen Knopf.“ Ins Getöse der rauschenden Filmmusik hinein brandet der Applaus hoch: Rene Polleschs Stück ist ein Rausch voller Spiellust und Bedeutung. Hoffnungslos verliert sich darin, wer die Bedeutung festhalten und den Diskurs vom Spiel trennen will. Das Innen ist leer, es ist alles im Aussen, behaupten die Schauspieler.“ Aargauer Zeitung
„„Herein! Herein! Ich atme euch ein!“ ist ein grosses Fest der Liebe, und sei's der verlorenen, der verkühlten, nie verstandenen, immer verkehrten. Und wir sitzen gebannt und gefangen – schon allein deshalb, weil die Halle nach unserem Einzug gewässert wurde und das Titanic-mässige Teil mit der Schiffsschraube voraus auf uns zuschwebt.“ Tages-Anzeiger
„Weil so ein Taxifahrer auch nur ein Mensch ist, hängt im Schiffbau nun ein riesiges, fast das ganze Volumen der Halle füllendes Schiff. Wieso denn das, kann man sich fragen, aber keine Angst, es hat an diesem Abend alles seine Logik. Und das Schiff – oder vielleicht: die Arche – ist gerade darum das perfekte Bild für die diesjährige Zürcher Soirée von René Pollesch, weil es nicht durch seine Schraube, sondern durch die Lastenzüge an der Decke bewegt wird. Und es wird sich bewegen, schliesslich muss es über den Berg, der in Form eines Publikums vor ihm sitzt. Pollesch ein neuer Fitzcarraldo? Aber nein. Dieses Publikum hat begriffen und räumt nach einem langen, langen Applaus freiwillig den Platz. Pollesch hat's wieder getan – den menschlichen Unverstand geteilt und sein Schiff hindurchgeführt. Was für ein beglückendes Stück.“ Nachtkritik.de
„Polleschs Theater ist anders, es provoziert kompromisslos, es verkauft einen überbefrachteten Text als freche Literatur und es thematisiert Alltägliches. Schliesslich: Pollesch arbeitet mit hervorragenden Schauspielerinnen und Schauspielern zusammen und seine Inszenierungen sind spektakulär: Sie haben Tempo und strotzen vor visuellen und auditiven Überraschungen.“ Bündner Tagblatt
„Dass man, mit dem Ensemble, durch ein Labyrinth von Links und Verweisen stolpert, dass man durch einen wilden Wust von Theorietrümmern klettert und trotzdem, und zunehmend, leidenschaftlich mit von der (Schiffs-)Partie ist, dass man sich getroffen und betroffen fühlt – das macht das Debatten-Drama zum Pollesch-Prachtstück.“ Tages-Anzeiger
„Zu gefallen wissen die vier Darsteller (Inga Busch, Nils Kahnwald, Marie Rosa Tietjen und Jirka Zett), die die nicht immer einfachen Wortspiele bravourös meistern. Gelungen ist auch der Auftritt des zwanzigköpfigen Matrosenchors, der für turbulente Szenen sorgt, schön synchron agiert und antwortet und das Ping-Pong-Wortspiel mit den Hauptdarstellern gekonnt akrobatisch aufmotzt. Beeindruckend ist die Szene, in der der Chor das Flaggenalphabet zum Popsong von Kate Bush aufführt. Geboten wird ein kurzweiliger, sorgsam mit Musik unterlegter Abend, auch wenn man nicht immer ganz mitkommt. Das vorwiegend jugendliche Premierenpublikum war begeistert und bedankte sich mit langanhaltendem Applaus und lautstarken Bravorufen.“ seniorweb.ch
„Wer bist du wirklich?, fragt René Pollesch in seinem jüngsten Stück und kommt zu der im Grunde beruhigenden, jedenfalls befreienden Feststellung: gar nichts, das Innenleben ist selber hohl, auf jede russische Puppe, die man öffnet, folgt die nächste, und der innerste Kern bleibt leer. Was ja nichts anderes sagt als: Du kannst auch anders. Der Mensch ist keine fixe Grösse, sondern ein Work in Progress, das Produkt alles Möglichen, und er kann sich das ist der emanzipatorische Aspekt durchaus auch von „sich selbst“ noch ein bisschen weiter entwickeln.“ NZZ
„So steckt in diesem Abend wieder einmal der ganze, der ganz grosse Pollesch: Es gibt die denkwürdigen Gruppenszenen wie die schlagenden Einzeiler fürs Merkbüchlein („Ich habe das Gefühl, dass ich die Mittagspause von jemandem bin“). Und es gibt neue Einsichten ins menschliche Äussere, die so lustig und leicht aufplatzen wie die Wasserballone, mit denen die Schauspieler beworfen werden. Doch immer sind es mehr als nur Spritzer von Zizek oder Jean Paul Sartre, die Pollesch uns hinwirft: „Der springende Punkt ist, dass Sartres Charaktere in ihrem Drang, jede Handlung zu vermeiden, stellvertretend für uns alle stehen“, sagt Inga Busch einmal, und kommt damit zum entscheidenden Schluss dieses Stücks – zum Schiff, das riesig in seiner Mitte steht: Dass sich nämlich nichts bewegt in der Welt, wenn die Menschen, die sie bewegen wollen, ihre Menschlichkeit für ihren Motoren halten.“ Nachtkritik.de
„Am Schluss kommt, e la nave va, das ganze Theater in Bewegung. Das Schiff schwebt, an Zügen gehalten, gegen das Publikum, als würde es über einen Berg gezogen. The Pirates of the Schiffbau waren da. Grosser Applaus.“ Der Landbote