Schiffbau/Box
Premiere am 31. Januar 2015
Ein junger Autor, der in New York voller Hoffnung auf eine schriftstellerische Karriere seine erste eigene Wohnung bezieht, wird der neue Nachbar einer gewissen Holly Golightly. Truman Capotes Ich-Erzähler bleibt namenlos, Holly aber nennt ihn Fred. Das scheinbar unbekümmerte Partygirl führt mittellos, aber mit verführerischem Charme ein wildes, whiskeygetränktes Leben im Manhattan des ausgehenden Zweiten Weltkriegs. Ihren neuen Bewunderer Fred entführt sie regelmässig in die schillernde Welt der New Yorker High Society. Ihre schwierige Kindheit als Waise in Texas blendet sie dabei erfolgreich aus, wird aber davon eingeholt, als eines Tages Doc Golightly auftaucht – ein Farmer, bei dem Holly aufgewachsen ist und der sie im Alter von 14 Jahren heiratete. Als bald darauf ihre Zuarbeit für einen Rauschgiftdealer publik wird und auch noch ihre Aussicht auf eine vorteilhafte Heirat platzt, flieht sie nach Südamerika. Dem Schriftsteller Fred ist die Muse abhandengekommen, was ihm bleibt, ist ihre
Geschichte ...
Dem amerikanischen Autor Truman Capote gelang mit „Breakfast at Tiffany’s“ ein Erfolgsroman, der vielen heute vor allem durch die Hollywood-Verfilmung mit Audrey Hepburn bekannt ist. Der Regisseur Christopher Rüping, der erstmals in Zürich arbeitet, stellt die männliche Hauptfigur, Fred, ins Zentrum und interessiert sich bei Holly Golightly auch für die raue und gefährdete Seite der Figur, die für die durchweg romantische Filmadaption in den Hintergrund trat.
„Zunächst ist Holly Golightly noch gar nicht auf der Bühne. Der Anfang des Abends gehört allein dem Erzähler, einem jugendlichen Alter Ego von Truman Capote. Er lässt die Bilder entstehen; „Mach mal New-York-Sound“, sagt er etwa zu der fabelhaft swingenden Combo mit Brandy Butler, Roger Greipl und Hipp Mathis. Und das Bild von Holly Golightly ergreift von ihm Besitz, ganz plastisch: Was erst nur indirekte Rede war, wird bald zur divenhaften Schauspielerhaltung, wird zur Maske und zum Kostüm, Highheels, falsche Wimpern. Bis Holly Golightly aus der Erzählung leibhaftig aufersteht und sich am Ende verdoppelt und verdreifacht (Hanna Binder, Magdalena Neuhaus, Isabelle Menke). Das ist schlau gedacht und theatersinnlich gemacht, und wie Nils Kahnwald dieses Spiel von Wahrheit und Illusion durch den Abend trägt, hat grosse Klasse.“ NZZ
„Fred eröffnet den Abend. Er empfängt das Publikum mit grossem Maul und Trara und führt es ein in seinen Jahrmarkt mit Christoph Harts grooviger Musik, mit Karussell, Zuckerwatte, Ballons, blinkenden Lichtern und Ruby’s Bar, wo der magengesäuerte Keeper Joe im weissen Weston seine Drinks mixt und Spritzer routiniert-lässig vom Tresen wischt (Bühne: Ramona Rauchbach). Vor allem aber berichtet Fred von seiner Bekanntschaft mit Holly, wie er in einem New Yorker Haus im Appartement über ihr gewohnt und sie ihn eines Abends über die Feuerleiter besucht hat. Dieser Bericht ist die Show eines grossartigen Entertainers, der gestikulierend, fabulierend auf einer Holzkiste steht und das Publikum mit seiner Eloquenz und seinem Witz in den Sack steckt.“ sda
„Nicht eine perfekte, sondern drei höchst traurige, sehnsüchtige, suchende Hollys stellt Christopher Rüping auf die Bühne. Und gibt dem Erzähler mehr Raum, der erstmals einen Namen erhält und nicht Fred heisst, weil ihn Holly so nennt. Dieser P. B. Jones reist seinen Erinnerungen an die merkwürdige Frau hinterher, die einmal unter ihm wohnte. Die Suche führt Fred (sehr wandelbar: Nils Kahnwald) in die Zeit des Zweiten Weltkriegs, auf Jahrmärkte mit Zuckerwattegeruch. Der empfängt auch die Zuschauer, die am Samstag zur Premiere kommen. Dazu Jahrmarktsmusik (vor allem mit einer grandios-vielseitigen Brandy Butler) und auf Ramona Rauchbachs Bühne ein gekipptes Kettenkarussell, marode Autoscooter. Fred erzählt seine Version der Geschichte, Barmann Joe Bell widerspricht. Was stimmt? Wer war Holly wirklich? Die Macht der Erzählung ist gross, sie wird im Lauf der Zeit das Karussell aufrichten, die Scooter zum Fahren bringen – und die drei Hollys zum Leben erwecken. Die gewitzte, burschikose Holly von Hanna Binder, die mädchenhafte von Magdalena Neuhaus und die reife, abgeklärte von Isabelle Menke. Literatur kann viel, kann beglücken, kann verletzen – und Hollys Bruder Fred im Krieg sterben lassen. Auch die Illusion kann viel, sogar Fred in eine Frau verwandeln, mit langem Haar und Abendkleid. Und sie kann ein Publikum „Somewhere over the rainbow“ summen lassen. Aber die Realität ist noch stärker: Holly kommt nicht wieder.“ St. Galler Tagblatt
„Capotes Kurzroman ist selbstverständlich viel mehr als das Bild, das Audrey Hepburn sich von Holly Golightly machte. Das zeigt Christopher Rüpings Inszenierung am Schauspielhaus, die wesentlich von Nils Kahnwald getragen wird: Er mimt Holly Golightlys einstigen Nachbarn im New Yorker Sandsteinhaus, der jetzt, Jahre später, so etwas wie der Conférencier im Reich der eigenen Erinnerung ist. Aus dem Rückblick und mit der Asche seiner abgebrannten Begehrensbilder versucht er, für sich und für uns nochmals die aus New York entschwundene Holly Golightly zu modellieren – vergeblich: Mit Kahnwalds Erzählung stellt sich kein plastisches Bild ein, so wie es der Film mit Audrey Hepburn zeigt. Aber auch das ist durchaus stimmig. In Capotes Erzählung geht es ja um das männliche Begehren, das sich auf alles richtet, was nicht erreicht werden kann. Und für dieses unerfüllbare Begehren steht das flatterhafte Wesen von Holly Golightly, das den Männern alles verspricht – und als Episodengenie naturgemäss nichts halten kann und muss, was über das Abenteuer des Moments hinausgeht. Die unerfüllbare Sehnsucht ist gerade der Rohstoff von Golightlys Lebens- und Geschäftsmodell. Und die wird in der Regie von Christopher Rüping ganz ins Zentrum gerückt, wenn Kahnwald während seiner Erinnerungserzählung allmählich zur Figur seines eigenen Begehrens mutiert: mit Schuhen, Strümpfen und einem Abendkleid, das er sich überstreift.“ Tages-Anzeiger
„Christopher Rüping der mit dieser Inszenierung seinen Einstand am Schauspielhaus gibt zieht mit „Frühstück bei Tiffany“ die grosse Show ab. Es beginnt beim Einlass, der die Zuschauer über die Bühne schleust wie über einen Tummelplatz, da ein Marktschreier, dort ein Musikclown, die frisch produzierte Zuckerwatte darf man mitnehmen zum Sitzplatz. Die Zuschauer sind Teil des Bildertheaters, sie partizipieren an der Illusionsmaschine; auch später werden sie immer wieder einmal zum Mitmachen verführt. Die Bühnenbildnerin Ramona Rauchbach hat Reminiszenzen an einen Jahrmarkt in die Schiffbau-Box gebaut, das Chapiteau eines Karussells, eine Bude mit Bar. Einen Ort der Träume und der Illusion. Wie ein zweiter Kanal läuft in Rüpings Inszenierung neben Truman Capotes Erzählung die Meta-Erzählung von Wahrheit und Wirkung, Künstlichkeit und dem richtigen Leben im Fake stets mit. Nicht weniger als „echte“ Drinks sollen die Zuschauer einmal auf die Bühne locken; „das bin nicht ich, das ist Literatur, das sind nur Wörter“, sagt Holly Golightly ein andermal von sich; und dann steht sie über den Luftschacht und lässt sich wie die Marilyn im Film das Cocktailkleid hochblasen. Schon bei Truman Capote ist sie als postadoleszente Lebens-Künstlerin durch und durch „theatralisch“ – Rüping macht sie zu Theater.“ NZZ