Pfauen
Premiere am 23. April 2016
Mit freundlicher Unterstützung der Firma Duoton
Der erste Liederabend von Herbert Fritsch ist visuell inspiriert von Barnett Newmans Kunstwerk „Who’s afraid of red, yellow and blue?“ aus dem Jahr 1966. Dieses überdimensional grosse, antikompositionelle Ölgemälde, von dem Newman drei weitere Versionen malte und bezüglich dessen er ausdrücklich gefordert hat, es aus grösster Nähe zu betrachten, um eine physische Erfahrung der Desorientierung zu evozieren – die Adaptionsfähigkeit des Auges wird bewusst überfordert – hat zu Staunen, Erregung, Erschütterung, Überwältigung und sogar zu schweren Beschädigungen durch Messerstiche im Amsterdamer Stedelijk Museum geführt. In Berlin erhielt der Direktor der Nationalgalerie Morddrohungen und „das Werk dieses Anstreicherlehrlings“ wurde ebenfalls tätlich attackiert. Die jeweils höchst aufwendigen Restaurierungen der Bilder lösten wiederum überregional eine Debatte über Vandalismus aus, die andere Künstler inspirierte. „Ich bin ein Mensch, der in allem nur nach Impulsen handelt und wenn sich in mir die gehörige Menge Elektrizität angesammelt hat, geschieht etwas“, hat der österreichisch-slowenische Komponist der Spätromantik Hugo Wolf seine Arbeitsweise beschrieben. Seiner Erfahrung nach liegt „etwas Grausames in der innigen Verschmelzung von Poesie und Musik, wobei eigentlich nur der letzteren die grausame Rolle zufällt. Die Musik hat entschieden etwas Vampyrartiges in sich“. „Theater ist immer Oper“, sagt Herbert Fritsch; er unterscheidet nicht zwischen Sprech- und Musiktheater. Was passiert nun, wenn die antikompositionelle Visualisierung der drei Grundfarben auf die Liedkompositionen von Hugo Wolf zu den Dichtungen Eichendorffs, Mörikes und Goethes trifft? Newman bezieht sich in seinem Bildtitel „Wer hat Angst vor Rot, Gelb und Blau?“ auf den Theatertitel „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“ von Edward Albee. Albee wiederum variiert im Grunde den Titel „Wer hat Angst vorm grossen, bösen Wolf?“ – eine Komposition von Frank Churchill aus dem Jahr 1932. Herbert Fritsch fragt 84 Jahre später mit sieben singenden Frauen: Wer hat Angst vor Hugo Wolf? Herbert Fritsch, 1951 in Augsburg geboren, absolvierte seine Schauspielausbildung in München. Danach arbeitete er zunächst als Schauspieler, u.a. viele Jahre an der Berliner Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz bei Frank Castorf. Parallel arbeitete Fritsch als Medien-Künstler, drehte erste Filme auf 16mm/35mm und zeigte Ausstellungen in Deutschland und der Schweiz mit Fotoarbeiten und Computeranimationen. Seit 2007 ist er fast ausschliesslich als Regisseur tätig und inszeniert u.a. am Residenztheater München, am Deutschen Schauspielhaus Hamburg, am Opernhaus Zürich, an der Komischen Oper Berlin, am Wiener Burgtheater und an der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz. Seine Berliner Inszenierungen „Ohne Titel Nr. 1“ (2014) und „der die mann“ (2015) wurden zum Berliner Theatertreffen eingeladen, wo er in den vergangenen Jahren regelmässig vertreten war. Dem Zürcher Publikum hat sich Herbert Fritsch in der Saison 2013/14 mit Dürrenmatts „Die Physiker“ vorgestellt, 2014/15 inszenierte er „Der schwarze Hecht“ von Emil Sautter und Jürg Amstein mit der Musik von Paul Burkhard.
„Auch das gehört zu den Qualitäten dieser 90-minütigen Produktion: dass sie einerseits so frei und verspielt wirkt – und andererseits klar strukturiert und sorgfältig ausgefeilt ist. Es ist zweifellos kein Zufall, dass die sieben Sängerinnen nie zusammenprallen, wenn sie wie aufgescheuchte Hühner zwischen den sich drehenden Farbwänden herumrennen. Auch die Arrangements der Lieder sind bis ins Detail durchdacht. Da wird nicht einfach eine jazzige Begleitung unter eine spätromantische Melodie gequetscht; man hat sich genau überlegt, wo sich bei welcher Melodie Scharniere zu anderen Stilen einsetzen lassen. Spätestens hier ist nun zu erwähnen, dass „Wer hat Angst vor Hugo Wolf?“ nicht nur ein Herbert-Fritsch-Projekt ist, sondern auch ein Carsten-Meyer-und-Ruth-Rosenfeld-Projekt. Der Pianist (der sich auch als Filmmusikkomponist einen Namen gemacht hat) und die in E-Bass und Gesang ausgebildete Schauspielerin sind für die musikalische Leitung und die musikalische Fantasie des Abends zuständig. Sie wissen zusammen mit Fritsch die Talente der Übrigen zu nutzen.“ Tages-Anzeiger
„Die Show im Zürcher Pfauen beginnt mit einem (G)Rundkurs in Geometrie. Zwei Quadrate, ein Trapez, rot, blau, gelb, drehen sich im Kreise. Das knarzt, das knirscht, das klickt und klackt. Der Lack der übermannshohen Elemente glänzt mit dem Schwarz eines Konzertflügels um die Wette. Letzterer bleibt nicht lange leer. Hier wohnt ein feister Pianist mit feuchten Augen, mit flinken Fingern, sein Elton-John-Jackett glitzert, er trägt es mit Würde und völlig zu Recht. Carsten Meyer wird zum heimlichen Star des Abends werden. Wo das Damenensemble Augen, Beine, Bauch und Stimme sind, bildet er das Rückgrat. Und den Rhythmus, bei dem jede mitmuss. Boogie, Jazz, Soul, Swing, in diesem Liederabend steckt eine umwerfende Vielfalt, und, wie eingangs im holden „Gesang Weylas“, vielfach Hugo Wolf (1860-1903), der Spätromantiker, der wie Schubert Gedichte vertont hat, Mörike, Eichendorff, Lenau, Goethe.“ Basler Zeitung
„Wenn es eine wiederkehrende Geste gibt, die sich durch den Abend zieht, ist es die des Ausbruchs: eines jähen Aussich-Herauskommens und Aufbrechens von etwas. Es ist das, was Barnett Newmans Gemälde mit seiner radikalen Reduktion ebenfalls provoziert. Hier trifft sich „Wer hat Angst vor Hugo Wolf?“ auch mit Edward Albee, den der Titel weiterkalauert, und der Konventionenhölle von „Who‘s Afraid of Virginia Woolf? “. Und wie‘s aussieht, auch mit Hugo Wolfs eigener Impulsivität – der seit seinem 18. Lebensjahr Syphilitiker war und seine Lieder in einem Zustand wahnhafter Produktivität komponierte. Hier zeigen sich die „Traumgewalten“, von denen Nikolaus Lenau in einem Liedtext spricht, „die schlimmen Gäste“ beim nächtlichen Feste. Das ist das Gerumpel unter der Kunstoberfläche, jener Wolf, vor dem man wohl Angst haben muss – und dass diese Expedition in Wolfsche Welten eine Ahnung davon zu vermitteln vermag, ist gewiss nicht ihr kleinster Gewinn. Bei aller Komik, bei aller Schauerromantik, bei allem Farbrausch und bei aller stupenden Virtuosität. Elisabeth Schwarzkopf und Dietrich Fischer-Dieskau werden es ein wenig schwerer haben fortan.“ NZZ
„Fritsch stellte sich die Frage, was passieren könnte, „wenn die Visualisierung der drei Grundfarben auf Lied-Kompositionen von Hugo Wolf zu den Dichtungen Eichendorffs, Mörikes und Goethes trifft“. Was dann auf der Bühne des „Pfauen“ wirklich passiert, ist eine Orgie in Farben und eine wild-rasante Interpretation Wolf’scher Kompositionen. Mit grellen Mitteln der Revue, des Cabarets und der Groteske.“ theaterfischer.de
„Fritsch konfrontiert die Besucher der Pfauenbühne in Anlehnung an das Newman-Bild mit drei auf einer Drehbühne befestigten Farbwänden in Rot, Blau und Gelb, die sich in sich drehen können. Mit von der Partie ist ein Klavier, das ebenfalls drehbar ist. Chorisch und choreografisch agieren die sieben Sängerinnen und Schauspielerinnen auf der Drehscheibe mit den Farbwänden und provozieren humorvoll das Publikum mit den verschnörkelten Liedern von Hugo Wolf. Fritsch mag Schauspieler, denen die Bühne die Glieder verrenkt, die Gesichter verzerrt, die Augen verdreht, die alles dafür tun, dass alle Blicke auf sie gerichtet sind. Und das tun die sieben Schauspielerinnen mit atemberaubender Kunstfertigkeit. Sie laufen, tanzen, albern und singen, was das Zeug hält. Revueartig zelebrieren sie das veraltete Liedgut und sorgen mit gelungenen Klamauk-Auftritten immer wieder für Zwischenapplaus.“ seniorweb.ch
„Zu Beginn posieren die sieben schmucken Ladys um die musikalische Leiterin Ruth Rosenfeld als chice Jungs: androgyn wie in den 20er-Jahren, Gigolos im Frack der „Roaring Twenties“. Aber auch dieser tendenziell interessante Gedanke – Frauen als Männer, mit Liedern, die in genau dieser Undurchsichtigkeit der Geschlechter angesiedelt sind – verweht gleich wieder, wenn sich zunächst vier der Damen sehr geishamässig verwandeln und in japanischem Kostüm-Zauber trippeln sowie perkussiv klingeln und klöppeln und rasseln, dass es das Zwerchfell schüttelt. Kurz darauf aber tragen die Damen zu Perücken der 50er-Jahre pastellfarben-bunte Nullachtfuffzehn-Fummel. Mit wirklich gar nichts will sich dieser Abend festlegen, nie und nirgends will er sich einordnen lassen.“ Deutschlandfunk
„Elisa Plüss beschleunigt und verdreht das „Selbstgeständnis“, bis ihr nur noch sinnlose Silben von den Lippen spicken – und stimmt danach glöckchenrein und kinderzart das entsprechende Lied an. Anne Ratte-Polle rotzt den „Rattenfänger“ (als Gedicht, ganz ohne Hugo Wolf) ins Stroboskopgewitter. Auch Hilke Altefrohne, Sofia Elena Borsani und Lisa-Katrina Mayer entwickeln unter den uniform ondulierten Perücken ihr Profil: singend, sprechend, tanzend, pfeifend, plastikblockflötend.“ Tages-Anzeiger
„Ob die Schauspielerinnen nun versuchen, in Hugo Wolfs Musik-Welt einzutauchen und dabei Mörike und Uhland, Goethe und Lenau, Michelangelo und Heyses „Italienisches Liederbuch“ auf ganz eigene Art für die Bühne gewinnen: Sie spielen mit ihren Reizen, sind tänzerisch und pantomimisch ständig in Bewegung, verjazzen so manche Lyrik und sind meist gar nicht romantisch oder im Wolf’schen Sinne spätromantisch. Ironisch und köstlich begleitet von Carsten Meyer am Piano.“ theaterfischer.de
„Ansonsten hangelt sich das hier homogene, dort solovirtuose Damenseptett von einem Theaterglücksgriff zum nächsten. Die frühvollendete Elisa Plüss pfeift wie eine Nachtigall unter den Lerchen – und legt in einer Schnellsprechwundertat das dadaistische Potenzial von Mörikes „Selbstgeständnis“ frei. Anne Ratte-Polle befördert Mörikes Rezensenten in dessen Gedicht „Abschied“ per Fusstritt eine Treppe tiefer – und lacht sich schlapp. Lisa-Katrina Mayer ist von Nikolaus Lenaus „Traumgewalten“ schwer erschüttert. Die unglaubliche Soulhexe Carol Schuler rezitiert „Faust“-Verse mit der Black-Latino-Aura des jungen Prince – und es funktioniert. Hilke Altefrohne bleibt cool, die Sängerin Ruth Rosenfeld singt kokett für zehn, und Sofia Elena Borsani gibt sich als Enkelin von Mörike und Marilyn Monroe.“ Basler Zeitung
„Zu loben ist der Auftritt aller sieben Schauspielerinnen: Hilke Altefrohne, Sofia Elena Borsani, Lisa-Katrina Mayer, Elisa Plüss, Anne Ratte-Polle, Ruth Rosenfeld und Carol Schuler. Sie meistern ihre Rollen mit stupender Virtuosität und Präzision. Nicht minder eindrücklich ist das melodramatische Spiel von Carsten Meyer als tonangebender Klavierspieler. Erwähnung verdient noch der humorvoll inszenierte Abgang der Truppe zum Schluss. Das Premierenpublikum war sehr angetan vom witzig inszenierten Liederabend und bedankte sich mit langanhaltendem Applaus und vereinzelten Bravorufen.“ seniorweb.ch
„Carsten Mayer, der Pianist im Glitzerjackett, sieht wie der späte Elvis aus und hat die Ruhe weg: Mit einem Fingerschnippen bringt er die trippelnden Damen um sich herum zum Schweigen und Stehen. Das Frauenseptett, darunter Profi-Sängerinnen wie Ruth Rosenfeld und die grossartige Carol Schuster, muss immer mal wieder neu sortiert und geölt werden, aber dann schmachten, singen, deklamieren und gestikulieren sie wieder wie Orgelpfeifen und Jahrmarktspüppchen.“ Badische Zeitung
„Carol Schuler etwa gibt die Rockröhre dieser Gang, Ruth Rosenfeld ist dagegen zuständig fürs Fach Koloratursopran – und sie ergänzen sich hinreissend im stärksten Stück des Abends: Das „Erste Liebeslied eines Mädchens“ spricht in ihrer Version schon von einiger amourösen Erfahrung, und man hätte dem Song durchaus ein paar Strophen mehr gewünscht.“ Tages-Anzeiger
„Vor allem – und das bleibt unbedingt eine der Stärken des universell-komödiantischen Erneuerers Herbert Fritsch – setzt er ganz fundamental auf das Theater selbst. In extrem konzentrierter Choreografie bringt er das ruckelnde, rappelnde, lärmend rotierende Maschinchen selber auf Touren, bis es zuweilen so aussieht, als würde es gleich aus den Gleisen springen und das ganze Haus in Schutt und Asche legen. Aber da sind ja Goethe und Mörike, Hugo Wolf und Barnett Newman, sowie sieben grandios singende Aktricen, die das verhindern. Und ein Clown, der auch ein Zauberer ist, hält erstaunlicherweise ja doch die Fäden in der Hand.“ Deutschlandfunk
„Kann sein, dass Hugo Wolf und grosse Interpreten wie Elisabeth Schwarzkopf und Dietrich Fischer-Dieskau sich im Grabe umdrehen. Aber farbig und hübsch ist dieser rot-gelb-blaue Liederabend schon und die Applausordnung wie immer bei Fritsch ein kleines Kunststück für sich. Der Maestro hüpft als Flügel-Flitzer herein, verstaucht sich den Steiss und wird vom Damen-Siebener mit vereinten Kräften hinausgetragen. Das ist das Signal für minutenlange Zugaben, darunter aus gegebenem Anlass auch eine von Prince: „You don‘t have to be Fritsch to be me girl“.“ Frankfurter Allgemeine Zeitung
„Michelangelos poetisch besungene Erkenntnis, dass „Alles endet, was entstehet. Alles, alles rings vergehet“, wird schliesslich zur grellen Schrei-Orgie an einem Abend, der das Publikum zu wahren Jubelstürmen hinriss.“ theaterfischer.de
„„Wer hat Angst vor Hugo Wolf?“ ist witzig, schnell, unglaublich präzis: Es ist die pure Lust zuzuschauen. Der romantische Genie-Kult bekommt sein Fett weg, der japanisierende Exotismus, der Rezensent wird auch verabschiedet, und spätestens wenn sie das wohl bekannteste aller Wolf-Lieder, Mörikes Frühlingsgedicht, „Er ist‘s!“, im strammen Marschrhythmus und mit dem lyrischen Feinsinn einer nordkoreanischen Bildungskampftruppe vortragen, wird das Misstrauen offensichtlich, das Herbert Fritsch allen Gefühlen ab der Stange entgegenbringt, die grundlegende Skepsis gegenüber schnellen Übereinstimmungen.“ NZZ
„Denken, Reden, Schmerz und Wonne – alles drin in diesem Abend. Wenn Nummernrevue, dann bitte so.“ Basler Zeitung