Premiere am 15. September 2016
„Wir gedeihen, entwickeln (uns), wachsen durch unser Teilnehmen und Spüren am und im Fremden, Unbekannten, Anderen. Das dürfen wir nie vergessen. Sonst gehen wir unter in der Heimatheimeligkeits-Wirbleiben-allein-unter-uns-Inzuchtsuppe.“ Stephan Kimmig
Am Ende (oder Anfang) der Zivilisation, am Fuss der Rocky Mountains, liegt ein kleines Städtchen, eine 15-Seelen-Gemeinde: Dogville. Dort leben die Bewohner abgeschieden vom Rest der Welt ihr kleines Dasein – eine Gemeinschaft in einem geschlossenen System, in dem jeder seiner Arbeit nachgeht und alles seine Ordnung hat. In Dogville gibt es keine Fremden, Fremde kommen dort nicht hin. Höchstens ein Mensch, der sich verstecken will, ein Mensch auf der Flucht … Und so ein Mensch ist Grace, eine junge Frau, die sich in dem Provinznest vor der Polizei und der Gangsterbande ihres Vaters verstecken muss. Entdeckt wird sie vom Gutmenschen Tom, dem Künstler und Missionar, der sich zu ihrem Beschützer erklärt und sich in sie verliebt. Er überzeugt die Bewohner von Dogville, Grace aufzunehmen, während sie als Gegenleistung für die Gemeinde arbeiten soll. Sie gewinnt schliesslich das Vertrauen der Bewohner, indem sie sich vollkommen für sie aufgibt. Aber mit der Zeit verändert sich das Verhalten der Gemeinschaft gegenüber Grace. Es verhärtet sich. Eine Verrohung macht sich breit. Als die Polizei mehrmals auftaucht und mit Steckbriefen nach Grace sucht, beginnt die Stimmung zu kippen. Grace muss sich ihr Aufenthaltsrecht und ihren Schutz immer härter erarbeiten. Sie wird zum Mädchen für alles, zur Gefangenen und zum sexuellen Freiwild für die Männer. Sie wird zum Objekt von Macht, Obsession, Bosheit und Gewalt. Aber Grace gibt sich nicht auf und wehrt sich …
Lars von Trier erzählt in seinem Film „Dogville“ (2003) eine moderne Passionsgeschichte und eine Parabel über Rache und Moral, die zeigt, was die plötzliche Macht über einen fremden Menschen in einer Gemeinschaft auslösen kann. Inspiriert wurde er zu diesem Stoff unter anderem von Friedrich Dürrenmatts „Der Besuch der alten Dame“.
Stephan Kimmig, der zuletzt Friedrich Schillers „Jungfrau von Orleans“ im Pfauen inszenierte, gehört zu den profiliertesten Theaterregisseuren im deutschsprachigen Raum mit einer grossen Bandbreite von klassischen und zeitgenössischen Stoffen. Seine Inszenierungen wurden vielfach ausgezeichnet, u.a. mit dem Nestroy-, dem Faust-Preis und mehreren Einladungen zum Berliner Theatertreffen.
„Stephan Kimmig inszeniert am Zürcher Schauspielhaus Lars von Triers „Dogville“. Die eindrückliche Arbeit über das Böse der Menschennatur glückt ohne jede forcierte Aktualisierung.“ NZZ
„Stephan Kimmig eröffnet mit „Dogville“ die Pfauensaison. Ein starker Abend mit starken Schauspielern.“ Tages-Anzeiger
„Regisseur Stephan Kimmig hat Lars von Triers Filmvorlage für die Pfauen-Bühne adaptiert. Es ist eine Reise an den Rand der Welt. An den Fuss der Rocky Mountains, dort liegt Dogville.“ Der Landbote
„Ein eindringliches Melodram mit packenden Rollenporträts: Stephan Kimmig inszeniert am Schauspielhaus Zürich Lars von Triers „Dogville“.“ seniorweb.ch
„Katja Bürkle ist diese Grace, und sie bleibt ungerührt vom Guten wie Schlechten, das ihr in diesen zwei Stunden Theater passiert. Zuerst gewähren ihr die Menschen von Dogville eine freundliche Aufnahme, dafür leistet Grace ihnen ein paar Dienste: Sie pflückt Beeren, die sonst niemand gepflückt hätte, sie hütet Kinder, die sonst niemand gehütet hätte, sie spricht mit dem Blinden und auch mit dem Alten. Und dafür schenkt ihr jeder und jede einen Ballon. Ballone stehen für die Schönheit einer Begegnung. Und dann tanzt Grace mit allen, und sie nimmt jeden Tanzstil ihres Partners, ihrer Partnerin an. Es ist so etwas wie Überintegration.“ Zürichsee-Zeitung
„So rückt Kimmig den biblisch schweren, übermenschlich grossen Stoff ganz nahe, dicht an die Zuschauer heran – und plötzlich wird durch inszenatorische Genauigkeit und präzise Körperarbeit das Schwere leicht. Oder zumindest so leicht, wie Erzähltheater samt Brechtschem Verfremdungseffekt überhaupt sein kann und nicht überlebt wirkt, modellhaft und rhetorisch. Wieso Brecht? Für Grace hat im Original der grosse, singende Racheengel, die „Seeräuberjenny“, Modell gestanden.“ NZZ
„Ja, das hochmoralische Stück könnte schwer danebengehen, wenn Kimmig nicht dieses feine Ensemble hätte – und zudem ein Gespür dafür wie schon 2015 in „Die Jungfrau von Orleans“. Die elf Akteure schaffen es glatt, Analyse und Figur ohne Reibungsverlust in eins zu schlingen; mit nichts als einem Luftballon Liebesaugenblicke pulsen zu lassen oder das Publikum mit Gewaltakten im Off zu schocken (ein erschreckend erschreckender Neuenschwander!). Sie sagen die maskenhaften Sätze so, dass sie unser aller Schwäche demaskieren. Wie sich etwa Edmund Telgenkämpers Tom, der Schwadroneur mit den hehren Idealen, bis zum Schluss selbst belügt: Das ist die hohe Wahrheit einer neuen alten Schauspielkunst. Auch wie Grace sich endlich zur dürrenmattschen mörderischen Rachegöttin verkehrt, nimmt man Bürkle ebenso ab wie den verquasten Dialog über Arroganz, den sie mit ihrem mafiösen Papa führt. Der 1959 geborene ehemalige Theaterstürmer Kimmig, den manche als Stückefledderer verrissen haben, ist längst in der schwebenden Mitte des Theaters von heute angekommen: dort, wo man die Künstlichkeit der Kunst im Blut hat und eine Echtheit sucht, die weit weg ist von Flüchtlingscontainern auf der Bühne oder Projektgebastel im Stadtraum. Diese neue Retrokunst hat Asyl verdient bei uns.“ Tages-Anzeiger
„Kimmig hält sich strikt an Lars von Triers Textvorlage, verzichtet auf schockierende Demütigungsszenen, auf Assoziationen zur aktuellen Flüchtlingsthematik, schafft wohltuende Distanz. Es ist ein direktes, leises Spiel ohne moralisierende Aussagen und Weltverbesserungsphantasien, klar strukturiert mit wenig Zwischentönen. Die Figuren geben sich sperrig, verbergen ihre wahre Emotionalität. Nur der Erzähler sorgt mit seinen akrobatischen und clownesken Auftritten für etwas Heiterkeit. Eindrücklich ist die Schlussszene, in der Grace und ihr Vater über das Wesen von Macht und Gnade diskutieren, bis sie sich entscheidet, alle Bewohner, die sie erniedrigt, versklavt und vergewaltigt haben, abknallen zu lassen. Alle Schauspieler (darunter auch drei Kinder) verdienen grosses Lob für ihr differenziertes, packendes Rollenspiel. Katja Bürkle als Grace findet das richtige Mass zwischen Kalkül, Widerstand und Anpassung, Nils Kahnwald schlüpft gekonnt in verschiedene Rollen als Erzähler, Polizist, Gangster und Bube Moses, Edmund Telgenkämper als Tom Edison, der sich Schriftsteller nennt, entpuppt sich als feiger Moralist und Liebhaber. Überzeugend sind auch die Auftritte von Ludwig Boettger als Toms Vater Thomas Edison, Isabelle Menke als Ma Ginger, Michael Neuenschwander als Chuck, Hilke Altefrohne als Chucks Frau Vera und Fritz Fenne als blinder Jack McKay. Geboten wird insgesamt eine gelungene, inspirierende Inszenierung und grossartige Schauspielkunst. Dafür gabs am Premierenabend langanhaltenden Applaus.“ seniorweb.ch