Premiere am 09. März 2017
„Machen die Wildenten ja immer so. Tauchen zum Grund, so tief sie können, mein Guter. Verbeissen sich in Tang und Algen – in dem ganzen Mist da unten. Und kommen nie wieder hoch.“ aus „Die Wildente“
Als Gregers Werle nach Jahren in sein Heimatdorf zurückkehrt, flammt ein alter Konflikt zwischen ihm und seinem Vater, dem reichen Konsul Werle, wieder auf. Gregers glaubt, dass sein Jugendfreund Hjalmar seine 14-jährige Tochter Hedvig untergeschoben bekam – Hedvig aber in Wirklichkeit das uneheliche Kind seines eigenen Vaters ist. Die vielen Zuwendungen, die sein Vater der Familie Ekdal zukommen lässt, erscheinen Gregers als untrüglicher Beweis. Gregers macht sich selbst zum unerbittlichen Aufklärer und zerstört trotz bester Absichten mit seinen „idealen Forderungen“ den familiären Frieden. Er zerstört damit auch die heilsamen Rückzugsorte der Illusion, wie den Dachboden, wo die Ekdals der Realität entfliehen, die aber auch ein liebevolles Leben überhaupt erst möglich machten.
Henrik Ibsen zeigt in seiner poetischen Tragikomödie von 1884 ein bitteres Menschenbild: Der Mittelstand ist ohne Kraft und Selbstvertrauen, steckt in grösster Abhängigkeit – alles, was Hjalmar hat, hat er dank Werle. Selbst der Arzt Relling versorgt seine Patienten in dieser erstarrten Welt nur mehr mit Lebenslügen. Der einzige Veränderungswille spiegelt sich im Aufklärungsfieber des Gregers Werle. Er will um jeden Preis die „Wildente“ aus den Tiefen des Meeres retten und die Wahrheit ans Licht bringen. Dabei verantwortet er schliesslich den Selbstmord der 14-jährigen Hedvig Ekdal.
Die niederländische Regisseurin Alize Zandwijk arbeitet zum ersten Mal in Zürich. Sie war ab 1998 mit Guy Cassiers künstlerische Leiterin des Rotterdamer Ro Theater und wurde dort 2006 Direktorin. Zandwijk schuf hier neben zahlreichen eigenen Inszenierungen, die in ganz Europa tourten, internationale Kooperationen und stärkte das Ensembletheater. Seit 2003 inszeniert sie regelmässig in Deutschland, u.a. am Thalia Theater Hamburg und am Deutschen Theater Berlin, seit 2016 ist sie leitende Regisseurin am Theater Bremen.
„Das Schattentheater mit Soundtrack, welches uns die Niederländerin Alize Zandwijk zu Beginn ihrer ersten Inszenierung am Zürcher Schauspielhaus beschert, ist von dunkler, eigenwilliger Schönheit. Für Zandwijk, leitende Regisseurin am Theater Bremen, verbindet Ibsens Schauspiel von 1884 das Naturalistische mit dem Märchenhaften. Gekonnt übersetzt sie das an Symbolen reiche Drama in die Bühnensprache.“ NZZ
„Diese Hedvig lohnt die Fahrt nach Zürich: Alize Zandwijk inszeniert „Die Wildente““ Frankfurter Allgemeine Zeitung
„Zandwijk malt und erklärt da nichts; sie illustriert nicht, freudianisiert kaum. Sondern die grossen Themen des Norwegers, die Lebenslüge, der Verlust realistischer Welt- und Selbstwahrnehmung, die hoffnungslose Loser-Lage der kleinen Leute, die allgemeine Verlorenheit: Sie werden Erlebnis.“ Tages-Anzeiger
„Die Wildente sind aber die Menschen auf der Bühne selber. Auch sie lebten bis zur Pause in einem Karton: Das war ausserhalb ihrer Natur, drinnen in einer Illusion. Und diese Menschen sahen, was eigentlich gar nicht da war. Auch Kaninchen gehören zu den Lebenslügen. Alize Zandwijk lässt in ihrer Inszenierung von Henrik Ibsens Gesellschaftsdrama „Die Wildente“ für das Zürcher Schauspielhaus in dieses Gehäus schauen, und es ist eine grossartige Vorstellung: voller Schatten und Licht. Viel Lüge ist auch da. Und ein bisschen Himmel. Und das alles geschieht in einem Raum, der eine wunderbare Spielanlage von Thomas Rupert ist. Tote Tiere an der Wand, vom Dachs bis zum Eber, schauen zu, was da die Menschen mit sich selber und der Wildente im Karton machen.“ Zürichsee-Zeitung
„Grossartig aber ist vor allem Marie Rosa Tietjen als Tochter Hedvig. Man sieht förmlich den Boden unter ihren Füssen schwinden, während sie aus der Sicherheit des Familienglücks nach der Trennung von Eltern und der Verstossung durch den Vater ins Nichts abgleitet.“ Südkurier
„Alize Zandwijk zeigt eine beeindruckende, stringend und gnadenlos inszenierte Familientragödie mit komödiantischen Zügen, als traue sie der Verbohrtheit der Ibsen-Figuren nicht ganz. Vorab die Männer demonstrieren streckenweise ein narrenhaftes Spiel, um die tragische Dimension des realistischen Geschehens zu mindern. Als Kontrast dazu die beiden Frauen Gina und Hedvig, die die moralische Dominanz der Männer auf nüchterne und verzauberte Art durchbrechen. „Das ist alles so komisch hier“, lässt die Regisseurin Gina zur Pause sagen.“ seniorweb.ch
„Der Schauspieler Milian Zerzawy verleiht seiner Figur mit zerzaustem Haar und Strickpullover jene Nachdenklichkeit, die man von einem Wahrheitssucher am Vorabend der Begründung der Psychoanalyse erwartet. Der Aufklärer, dem Lebenslügen ein Graus sind, wird Untermieter bei Ekdals. Bald wird dort handfest um die Deutungshoheit über die Vergangenheit gekämpft. Ist Hjalmars geliebte Tochter gar nicht die seine? Marie Rosa Tietjens schüchtern-wahrhaftige 14-Jährige, die sich in ihrem Schneewittchen-Kostüm von den sonst schlicht Gekleideten abhebt, tastet sich traumwandlerisch der Wand entlang – wie ihr richtiger Vater erblindet sie. Dennoch erscheint sie, die ahnt, dass etwas faul ist, als einzige Sehende.“ NZZ
„In einem faszinierenden Mix aus Bodenständigkeit und gelenkigem Witz pariert Isabelle Menke als Gina die Anwürfe ihres Gatten Hjalmar. Er plustert sich, sie lässt die Luft raus, er tobt, sie tänzelt. Punchline um Punchline, lauter Treffer. Und die Hedvig von Marie Rosa Tietjen! Das fast schon erblindete Mädchen, um das der Ehestreit kreist, kommt als präraffaelitische Erscheinung daher. Langes Haar, dünnes weisses Kleid. Wie die junge Kate Bush. Vorsichtig tastet sie sich die Wand entlang. Aber wenn Tietjen die Stimme erhebt, dann steht die Zeit still, dann fräst sich eine raue, kompromisslose Wahrheit in die Dialoge, dann funkelt ein subversiver Humor, der all das Sinnen der Kerls um sie herum verblassen lässt.“ Nachtkritik.de
„Die Frau schmeisst Laden, Haushalt, kümmert sich um Hedvig und Hjalmars greisen Vater: toll, wie sich Isabelle Menke eine puppenhafte Süsse ins Gesicht modelliert, derweil ihre Hände sich spastisch verrenken. Sie lässt sich von Gregers‘ Ehrlichkeitsgeschwafel und Aufmunterungsgetätschel nicht verführen – obwohl der Prophet mit der Anmutung des TV-Schnüfflers Magnum (samt Schnauz und 80er-Jahre-Pulli) bei Milian Zerzawy mehr Überzeugungskraft hat, als man der Figur zugetraut hätte. Und so kaputt wie Hjalmars Vater (Siggi Schwientek) muss man erst mal über die Bühne schlurfen können, ohne auf die Tränendrüse zu drücken. Dass Ibsen-Könner Hans Kremer in seinen fiesen Frauenhelden – der Händler ist Hedvigs leiblicher Vater, jubelte Hjalmar das Kind unter und ruinierte Hjalmars Vater – so viel Einsamkeit und verkorkste Vaterliebe hineinschmuggeln kann, ist erstklassig.“ Tages-Anzeiger
„Die Frauen haben hier sich in dieser Szene ihren Raum genommen, so sehr sie vom Stück selber an den Rand gedrängt werden – Alize Zandwijk gibt ihnen alle Freiheiten, Isabelle Menke und Marie Rosa Tietjen spielen sie aus, mit allem, was sie können, und sie können alles. Und während die Männer noch im Ibsen-Stil das Konstrukt vom kleinen Glück im Leben und von den grossen Wahrheiten diskutieren, geht Hedvig den letzten Gang: Sie schiesst sich ins Herz. Gina steht auf der Seite und schaut, wie leer alles geworden ist. Wildenten suchen, wenn sie verletzt sind, Schutz am Grund des Meeres. Grosses Theater.“ Der Landbote
„Und Hedvig zittert. Mit dem Rücken zum Publikum steht sie da, die Hände wollen sich verschränken, aber finden nicht mehr zueinander, unruhig schiesst sie Sätze hervor, so schnell, dass man sie kaum versteht. Marie Rosa Tietjen spielt diese Hedvig als ein bissiges Kind, das nicht einsehen will, welchen Vorteil ein reiner Tisch haben soll, wenn keiner mehr daran sitzt. Ist sie bei Ibsen vor allem als hilflose Opferfigur angelegt, verleiht Tietjen ihrer Hedvig die eigenartige Souveränität einer schnippischen Schicksalsträgerin. Sie ist stolz auf ihre Besonderheit, zwinkert und lispelt drauflos und erhebt ihre gepresste Stimme gegen die ethischen Forderungen von Gregers.“ Frankfurter Allgemeine Zeitung
„Der Anfang ist magisch. In der nebligen Bühnenluft zeichnen sich die Umrisse von Jagdtrophäen ab: Hirsche und Elche ragen in die gute Stube der dekadenten norwegischen Gesellschaft hinein. Ein Metallbett steht da, darauf ein verdorrter Baum, der an einen Leichnam erinnert. „Der Wald nimmt Rache“, heisst es in Ibsens „Wildente“ zweimal, und der Tod, auf den das Drama zusteuert, ist im morbiden Bühnenbild von Thomas Rupert am Zürcher Pfauen bereits angelegt.“ NZZ