Premiere am 06. Mai 2017
Unterstützt von der Hans Imholz Stiftung
„In Brechts „Herr Puntila und sein Knecht Matti“ geht es um das beginnende Krepieren männlicher Omnipotenz. Wir beobachten in einer der beiden Titelfiguren die Diskrepanz zwischen dem eigenen Funktionieren und dem menschlichen Handeln unter heroischen Machtverhältnissen, die nur noch über die Drogeneinnahme reguliert werden kann. Das mag humorlos und sehr ernsthaft klingen, aber Bert Brecht hat diesen Klassenkampf auf dem Land mit Lust und Witz betrachtet und uns eine grossartige Komödie hinterlassen.“ Sebastian Baumgarten
Mit dem finnischen Gutsbesitzer Puntila entwarf Bertolt Brecht das Porträt eines Kapitalisten mit zwei Gesichtern: Während seine Menschlichkeit mit dem Grad seiner Betrunkenheit wächst, ist er nüchtern ein Ausbeuter, der seine Untergebenen auf oft brutale und hinterhältige Weise schikaniert. In betrunkenem Zustand jedoch zieht er seinen Chauffeur Matti ins Vertrauen darüber, dass er es bereut, die bevorstehende Hochzeit seiner Tochter Eva mit dem langweiligen Attaché arrangiert zu haben – und in seinem Rausch hält Puntila ausgerechnet Matti für den idealen Bräutigam seiner Tochter. Der standesbewusste Matti sieht jedoch in der Klassenzugehörigkeit Evas ein unüberwindbares Hindernis und lässt sie zu einem „Examen“ antreten – doch Eva besteht die Prüfung zur einfachen Frau aus dem Volk nicht. Matti verlässt schliesslich Puntilas Hof mit den Worten: „Der Schlimmste bist du nicht, den ich getroffen / Denn du bist fast ein Mensch, wenn du besoffen.“
Brechts Volksstück entstand 1940 im Exil nach einer Vorlage der finnischen Autorin Hella Wuolijoki und wurde im Juni 1948 am Schauspielhaus Zürich uraufgeführt. In der „Ausformung des Klassenantagonismus zwischen Puntila und Matti“, so Brecht in seinen Notizen, „macht es die Verlogenheit und Gefährlichkeit der bestehenden Herrschaftsverhältnisse deutlich.“ Denn in der kapitalistischen Gesellschaft sei der Mensch gezwungen, in einer Bewusstseinsspaltung zu leben und seine gute Natur zu verleugnen. Puntila ist für ihn eine Ausgeburt des Kapitalismus: „auszulachen im Suff, verabscheuungswürdig in der Nüchternheit.“
Sebastian Baumgarten studierte Opernregie in Berlin und ist seit seiner Zeit als Assistent von Ruth Berghaus und Robert Wilson sowie Mitarbeiter von Einar Schleef als Grenzgänger zwischen Schauspiel- und Opernhäusern unterwegs. Am Opernhaus Zürich waren „Don Giovanni“ und „Hamletmaschine“ zu sehen, am Schauspielhaus inszenierte er „Die Affäre Rue de Lourcine“ von Eugène Labiche, Brechts „Die heilige Johanna der Schlachthöfe“ (eingeladen zum Berliner Theatertreffen 2013) sowie zuletzt „Schuld und Sühne“ nach dem Roman von Fjodor Dostojewski.
„Baumgarten nimmt es beim Wort, Brechts 1948 in Zürich uraufgeführtes Paradebeispiel für die Verklammerung von Herr und Knecht, die sich einfach nicht sprengen lässt. Der Dramatiker, der auf der Flucht vor den Nazis in Finnland Station machte, entlarvt jeden Kapitalismus mit Softspots als unhaltbare Hohlheit und prophezeit der „sozialen Marktwirtschaft“ schon avant la lettre das Fallen der freundlichen Maske.
Und Baumgarten buchstabiert diese Nacktheit für uns aus. Dass Puntila seine mehrtägige Sauferei zu Beginn bekleidet mit einem hautfarbenen Fatsuit durchzieht (Kostüme: Christina Schmitt) und dass er dabei mit der schwabbelnden Kapitalistenwampe über die Bühne tänzelt, als sei er Nurejew höchstpersönlich: was für eine schlaue Verkehrung der Vorstellung von „entblösst“ und „maskiert“! Und was für eine erstklassige Aktualisierung – quasi im Vorbeihüpfen; Fettsein signalisiert heute Armsein, Fitsein Geld.
Überhaupt hat uns Hunger-Bühler mit seinem Part als irgendwie irgendwo menschlicher Unmensch schlicht kalt erwischt. Grossartig, wie er als Nullachtfünfzehn-Arschloch wie du und ich mit selektiver Blindheit fürs Gegenüber agiert und darüber auch noch ethanolpralle Krokodilstränen vergiesst. Da ist es stimmig, dass Baumgarten dem überzeugenden Matti-Darsteller Johann Jürgens – genau, aus Neubrandenburg! – ein paar Matti-Kopien beigesellt.“ Tages-Anzeiger
„Der Preis – und Lohn – für diese tänzerisch-geschmeidige Choreographie um den speckprallen Kraftbolzen Puntila: alle klassenkämpferischen Momente, die in diesem Stück entlang der üblichen Kampflinie von Herr und Knecht, Ausbeutern und Ausgebeuteten üblicherweise zu erwarten sind, erscheinen in neuem Licht: Im Gestöber komödiantischer Spiellaune und im Sturmlauf der Einfälle zwischen Suff und Sause, anbiedernder Menschlichkeit und in Massen ausgenüchterter Strenge. Robert Hunger-Bühler balanciert als Puntila auf dem schmalen Grat zwischen Popanz, Monstrum und neugierigem Clown. Wenn er volltrunken bei halsbrecherischen Autofahrten durch die finnischen Wälder einen Unfall baut, sind – natürlich – die Bäume schuld, die ihm im Wege stehen. Also beschimpft er sie unflätig. Und wenn ihm danach ist, „verlobt“ er sich innerhalb weniger Minuten gleich dreimal mit Zufallsbegegnungen.
Sebastian Baumgarten ist mit dieser Entdämonisierung, ja Vermenschlichung des „Ausbeuters“ ein grosses Risiko eingegangen. Doch die Vorteile überwiegen: Lachen statt Belehrung. In diesem rasanten Ballett der Emotionen gehen bei Puntila Momente trunkener aber leiser Überflutung seiner Umwelt mit Gesten der Verbrüderung rapide und bruchlos in dominante Herrschaftsbekundungen über. Dabei stellt sich letztlich ein – ja: fast anrührendes Gefühl der Hilflosigkeit ein. Und es entsteht so etwas wie ein durchdringendes Mit-Leiden (so unbrechtianisch und deplatziert der Begriff hier anmuten mag) – ein Mit-erleiden von Labilität und Ohnmacht, wie wir es nur allzu gut kennen.“ Deutschlandfunk
„Bald steht Carolin Conrad – die auch an diesem zweieinhalbstündigen Abend bravouröse Bühnenpräsenz beweist – als finnische Gutsbesitzertochter Eva dumm vor der Fototapete einer Schrankwandscheusslichkeit herum, in einem Plattenbau in Neubrandenburg. Sie versucht, eine gute Ehefrau für Matti, den Chauffeur Puntilas, zu geben und scheitert beim Ehe-Examen bekanntlich kläglich, vom Heringkochen bis zum Missionarssex. Bei Baumgarten hat sie allerdings einen Plan B: „Ich geh nach Helsinki und studier Agrarwirtschaft.““ Tages-Anzeiger