Pfauen
Premiere am 20. Januar 2011
In Jeremias Gotthelfs Novelle von 1842 führt eine harmlos bei einem Tauffest gestellte Frage nach der Beschaffenheit eines Fensterpfostens tief hinein in die unheimliche Sagen-Welt der schwarzen Spinne. Dort, im finsteren Mittelalter, beherrschen die Kirche und die Kreuzritter das Land. Von den Kreuzrittern schlägt Regisseur Frank Castorf einen dramaturgischen Bogen zur Kreuzigungsgeschichte und Michail Bulgakows Meisterwerk „Der Meister und Margarita“: Jesu Verurteilung durch Pontius Pilatus erscheint darin als gespenstischer Politkrimi. Pilatus, ein von der Provinz entnervter Statthalter, ist in geheimdienstliche Vorgänge verstrickt; seine Hände in Unschuld zu waschen, lindert weder seinen Kopf- noch seinen Weltschmerz …
„Der Fremde, der Spinner, der Verdächtige – das ist Castorfs Rolle in Zürich. Sie scheint ihm gut zu tun. Und es ist auch das Thema des vierstündigen, bunten, lustvollen Abends, der einen weiten Bogen schlägt: Er geht von Gotthelfs „Die schwarze Spinne" aus, spannt sich über Bulgakows Kreuzigungsroman aus „Der Meister und Margarita“, über Artauds Theater der Grausamkeit, serbischen Patriotismus und die Banalitäten der Berliner Kulturpolitik (Aufzählung unvollständig). Irgendwann fliegt man bei dieser Gespensterbahnfahrt aus der Kurve, aber sie hat es in sich.“ Berliner Zeitung
„Kein Klischee wird übergangen, kein aktuelles Extempore ausgelassen, die Schweizer Mundartfetischisten so wenig wie ihre deutschen Hilfskräfte und die garstigen Serben, der Schnee in Berlin, die „heutigen Weiber“, die Unterhosentheaterspieler und die Raucher ohnedies. Das macht kabarettistischen Spass: Der Anfang des Abends am Schauspielhaus Zürich ist ein souveräner Gotthelf-Remix. Da ist Castorf auf der Höhe seiner kalauernden Kunst, da ist nichts wie bei Gotthelf und hat doch alles eine Richtigkeit, da trieft Marc Hosemann als schnauzbärtige Hebamme mehr schlecht als recht ein Kirchenlied, Hans Schenkers Götti erteilt in zungenfertigem Emmentaler Idiom Bewirtungsdirektiven, und das Publikum bangt ums gute Porzellan.“ NZZ
„Frank Castorf mixt in Zürich Texte von Gotthelf und Bulgakow zu einem verstörend schillernden Theatererlebnis.“ Südkurier
„„Um dunkle Höhlen, in denen das Dunkle heranwächst und lauert, gehts ja nicht nur in Gotthelfs „Die schwarze Spinne“, wo ständig Frauen guter Hoffnung sind und voller böser Ängste; sondern auch in Michail Bulgakows „Der Meister und Margarita“ und in Antonin Artauds Aufsatz „Das Theater und die Pest“. Und nicht zuletzt in Friedrich Schröder-Sonnensterns Werk, in dessen erotisch aufgeladenen Phantasmagorien sich häufig Mensch und Tier verknäueln. „Wie die Pest ist das Theater eine Krise, die mit dem Tod oder der Heilung endet“, wird der französische Schauspieler und Dramatiker Artaud zitiert: „… ein Leiden, das den Geist zur Raserei einlädt“. Überhaupt ist das Artaud-Intermezzo mit seinem intensiven Irrsinn der heimliche Höhepunkt dieser Inszenierung.“ Tages-Anzeiger
„Was das alles mit der „schwarzen Spinne“ zu tun hat? Das war an diesem Abend nicht zu erfahren. Dafür wieder einmal, wie konsequent und unbeugsam Castorf sein Anti-Konsens-Theater, sein Chaos-Theater auf die Pfauenbühne, diese bürgerlichste Bühne von Zürich, zu bringen weiss.“ Süddeutsche Zeitung
„Frank Castorf erzählt die Novelle relativ linear und mit grosser Spiellust; sie erweist ihre spannungsvolle Kraft über die vier Stunden der Aufführung hin – die diese Spannung auch brauchen kann.“ NZZ
„Ein Hoch auf Gottfried Breitfuss’ kopfweh- und feigheitsgeplagten Prokurator, der sich mit Aurel Mantheis geheimnisvollem Jeschua Ha-Nozri herumschlägt.“ Tages-Anzeiger
„Hans Schenker bringt in seiner Erzählung Gotthelfs Sprache überzeugend über die Rampe. Glanzvoll karikiert Niklas Kohrt einen amerikanischen Touristen. Und Gottfried Breitfuss ringt dem Pilatus ein berührendes Charakterbild ab. Eine unvergessliche Szene des Abends: die Begegnung von Ursula Doll als vitale, lebenssprühende Christine mit dem zurückhaltend und deshalb umso abgründiger wirkenden grünen Verführer von Publikumsliebling Siggi Schwientek.“ Die Welt
„Langweilig sind die vier Stunden im Zürcher Pfauen jedenfalls nicht. Dem dort gewobenen Spinnennetz wird man bei aller Unzulänglichkeit nicht so schnell entkommen. Artaud hat schon recht: Theater lädt ein zur Raserei, zur Steigerung von Energien und zum Kampf gegen die Trägheit.“ Südkurier
„Castorf verdient für seinen rätselhaft unermüdlichen Kampf gegen den Konsens und die Verdrängungsbehaglichkeit Respekt und Vertrauen.“ Frankfurter Rundschau
„Ein Höllenritt aus Spass, Irrsinn und höherer Bedeutung, eine Text- und Theaterzerrüttung, die nachhaltig verstören kann.“ Neue Luzerner Zeitung